Gespräch zum Unruhestand

"Walk & Talk" Christian Winkler anlässlich seiner Pensionierung

© KPH, JG

Christian Winkler hat das Beratungszentrum Schulentwicklung und Leadership mitbegründet und acht Jahre hindurch geprägt. Im Oktober ist er in Pension gegangen – was für ihn aber keineswegs Ruhestand bedeutet. Nicht zuletzt führt er noch den aktuellen Lehrgang für Schulentwicklung durch. Wir haben ihn noch einmal zu einem Herbstspaziergang und Interview getroffen.

Wie fühlt sich dein neuer Lebensabschnitt an, was ist anders?

Nix! (lacht) Na schon, ich hab’ einfach viel mehr Zeit. Ansonsten haben sich die Termine die Hand gegeben und das ist jetzt ein bisschen verschoben. Die Praxis (für Psychotherapie, Anm.) geht auf, ohne dass ich einen Finger gekrümmt hätte, also die Sachen, die ich gern mache, kommen in die Gänge und das fühlt sich prinzipiell gut an. Was mir abgeht, ist der Kontakt zum Team, das merk’ ich schon.

Von den ersten Unterrichtsstunden bis zu den Jahren als Schulentwicklungsberater – Wie war dein Werdegang und was hat dich an der Arbeit im Bildungssystem fasziniert?

Wie ausführlich soll ich jetzt werden? (lacht) Ich hatte einen Onkel, der erst mit fünfzig eingestiegen ist in die Schule und das hat mir riesig imponiert. Und der hat gesagt, er möchte was bewirken, er möchte was weitergeben und er glaubt, dass er das da tun kann. Und so hab ich das auch gemacht und meine erste Stelle gekriegt an einem Gymnasium und das hat einfach Spaß gemacht. Aber mir war von vorn herein klar: Ein Leben lang an einem Standort, das fand ich schrecklich! Und ich hab dann relativ schnell wieder Kontakt gekriegt zur Musikuni und einen Lehrauftrag für Unterrichtspraktika und da hab ich gemerkt, das ist ja richtig cool, wenn man den Studierenden so bei den ersten Schritten helfen kann vor einer Klasse! So war ich acht Jahre in einer Assistentenstelle in der Lehrerbildung und dann war im Musikgymnasium die Schulleiterstelle ausgeschrieben und da ich hab das Assessment gewonnen und bin in der Schule gelandet – und das war nicht mein Ding, also von vornherein. Aber ich hab’ glaub’ ich schon eine Menge dort bewirkt an neuem Wind, das war unglaublich konservativ und altmodisch. 

Und dann kam irgendwann der Punkt, wo ich mir gedacht hab: Ich will nicht wie viele Kollegen die letzten Jahre bis zur Pension runterbügeln – der Gedanke war grauenhaft! Also hab’ ich mir ein Sabbatical ausbedungen, das war für Schulleiter damals nicht vorgesehen. Und entweder es tut sich was auf in der Zeit oder ich kehre neu eingestellt wieder zurück. Und drei Tage, bevor ich mich entscheiden musste, kam über eine Bekannte der Anruf von Christoph Berger und ich hatte den Job an der Hochschule. Und das Tolle waren diese Felderfahrungen – aus Lehrersicht, aus Schulleitersicht, aus Lehrerbildnersicht und jetzt als Schulentwickler, das macht echt Sinn, weil das so aufeinander aufbaut und ineinander greift. Also mir kann niemand sagen, ich weiß nicht, wie das ist!

Was war ein Highlight in dieser Zeit?

Da gab’s viele. Aber die Arbeitsqualität der letzten Jahre war so fein und so gut, weil diese Art von Teamarbeit hab’ ich zuvor nie gehabt. Und das hat echt Qualität – da ist man so getragen, da wird man so kreativ. Und besonders spannend war dieser Mix aus erfahrenen Leuten und Neueinsteigern!

War das auch wertvoll für die nächste Meta-Ebene – dass du jetzt Schulentwicklungsberater ausbildest?

Genau, und das ist jetzt ein bisschen das Krönchen drauf, weil jetzt geb’ ich sozusagen dieses Knowhow noch einmal weiter und das hat für mich einfach eine ganz feine Logik und ist ein schöner Blick auf das alles davor, ja, das ergibt irgendwie alles sehr viel Sinn. 

Du hast ja das Beratungszentrum Schulentwicklung & Leadership mitbegründet – Wie würdest du diese Zeit damals beschreiben?

Pionierarbeit! Wir haben das damals vorgestellt im Stefanisaal am Stephansplatz, der Rektor war da und Leute von der Hochschule und Lehrer und Schulleiter – und dann war da erstmal nichts! (lacht) Keine finanziellen Ressourcen, keine personellen Ressourcen, kein Zimmer. Also das war noch sehr klein und bescheiden und mit sehr geringer Reichweite am Anfang.

Was ist für dich die große Stärke der Arbeit des Beratungszentrums?

Ich glaube, es ist gar nicht leicht vermittelbar, was das Wertvolle daran ist, dass jemand von außen kommt, eine externe Sicht reinbringt und manche Dinge in Frage stellt, die einfach in der Schule, weil sie immer so waren, nicht in Frage gestellt werden. Was ja ganz normal ist für Institutionen, die auf Bewahren und die Weitergabe von Wissen oder Kultur oder Werten ausgerichtet sind – aber möglicherweise dann die Entwicklung verpassen, was das Leben draußen macht und dann von den Jugendlichen eigentlich nimmer ernst genommen werden. Und das ist halt ein systemischer Zugang, der mir auch aufgrund meiner Psychotherapieausbildung sehr liegt und den ich sehr überzeugend finde.

Gibt es etwas, was du dem Team mit auf den Weg geben möchtest für die Zukunft?

Macht weiter so! Also ich hab’ das Gefühl, das Ding hat einfach einen guten Spirit und der trägt super. Nicht im Sinne von einer Massenbeglückung, sondern über individuellen Kontakt, längerfristige Beziehung, dann wird die Geschichte nachhaltig, das ist so stark. Auch diese Art von Kooperation, Zusammenarbeit, sich einbringen, diskutieren, miteinander entwickeln, sich immer wieder die Frage stellen – ist das, was wir da machen noch zeitgemäß? Und im Zweifelsfall dann mit dem nicht so weitermachen. Sondern fragen, was die Schulen brauchen und was Neues draus entwickeln.

Wie geht es bei dir nun weiter, wo wird man von dir hören oder dich zu sehen bekommen?

Naja, das wird sich jetzt entwickeln, das weiß ich selber noch nicht. Aber ich bin nicht der Typ, der sich jetzt irgendwie mit dem Buch in den Lehnstuhl setzt. Mit dem Lehrgang bin ich für die nächsten zwei Jahre beschäftigt und mittlerweile kommen auch andere Anfragen von der Hochschule. Ich habe jetzt vor, meine Zeitstruktur ein bissl zu ordnen, das ist mir im November noch nicht geglückt. Und einen Gang runterschalten tut auch ganz gut. Musik? Ja, der Plan ist, dass ich mir wieder ein Klavier zulege und ich möchte mir in meinem Wohnzimmer permanent ein kleines Künstleratelier einrichten.

Zu guter Letzt: Was sind deiner Meinung nach heute die drei größten Herausforderungen in unserem Bildungs- und Schulsystem?

Gib mir eine Minute, da kannst jetzt einmal auf Pause drücken…

Also, oh ja. Schule und Lehrberuf muss weg von diesem schlechten Image. Lernen ist interessant und Lernen ist spannend und Lernen ist nicht etwas, was man vermeiden muss und irgendwie umgehen. Das ist ein Grundbedürfnis des Menschen und dem muss generationsadäquat entsprochen werden. Das ist das eine. Das zweite ist raus mit Politik und Religion aus der Schule. Also mit dem Versuch, Menschen zu erziehen, damit man sie steuern kann, anstatt dass sie sich zu glücklichen, kreativen und erfolgreichen Menschen entwickeln – schwierig. Aber das müsste das Ziel sein. Ganz wichtig fände ich eine Gleichstellung der Kindergartenpädagoginnen mit Lehrerinnen, das gehört unbedingt aufgewertet. Und was mich erschreckt, ist, dass immer noch in 99% der Schulen die Tische und Sessel drinnen stehen und es das Wichtigste ist, ruhig zu sitzen. (lacht) Also Eigeninitiative fördern, Eigenverantwortung fördern, selbständiges Denken fördern, eigene Lernwege, viel mehr offenes Lernen, prozesshaftes Arbeiten anstatt Eintrichtern, auswendig lernen und schnell wieder vergessen. Aber das ist ein Jahrhundertprojekt.

Aber man muss einmal ein Ziel im Blick haben, um darauf zuzugehen…

Ja, und das ist halt schön. Also, was ich wirklich schön und erfreulich finde, wenn sich die Schulen zunehmend mehr und mehr aufmachen und sagen: „Wir wollen gern das und das verändern und da holen wir uns Schulentwicklung!“ Und das wirkt sich sehr aus, da bin ich überzeugt, und das landet bei den Kindern. Von den Schulleitern über die Lehrer und dann zu den Kindern, das wäre die Hoffnung. 

Schau ma mal…

Danke für das Gespräch und danke für die tollen Jahre!

Johannes Gasser

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